Innovative Technologie könnte Krebs selektiver und effektiver behandeln

Krebs gezielter und effektiver behandeln – das könnte mit einer innovativen Technologie gelingen, die Forscherteams des Leibniz-Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie (FMP) und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) entwickelt haben. Der Prozess verwandelt Proteine und Antikörper in stabile, hochfunktionelle Medikamententransporter, mit denen Tumorzellen erkannt und abgetötet werden können.
Die klassische Chemotherapie zur Krebsbehandlung basiert auf toxischen Substanzen, die besonders wirksam bei sich schnell teilenden Zellen sind. Da gesundes Gewebe jedoch auch auf die Zellteilung angewiesen ist, geht die Behandlung mit chemotherapeutischen Substanzen häufig mit schwerwiegenden Nebenwirkungen einher. Eine Dosis, die ausreicht, um den Tumor vollständig zu entfernen, wäre in vielen Fällen zu giftig, um sie einer erkrankten Person zu verabreichen. Mit moderneren Ansätzen ist es mittlerweile möglich, Wirkstoffe zu transportieren (Drogen) im Körper gezielt an den Wirkort bringen, beispielsweise durch die Verknüpfung eines Medikaments mit einem Antikörper, der durch Veränderungen an der Zelloberfläche Krebszellen von gesundem Gewebe unterscheiden kann. Fünf davon Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) sind bereits auf dem Markt.
Allerdings verlieren diese ADCs einen Großteil ihrer „giftigen Ladung“ auf dem Weg zur Krebszelle. Die Stoffe (Medikamente) gelangen in die Blutbahn und es können gefährliche Nebenwirkungen auftreten. Eine stabile Verbindung zwischen Medikament und Antikörper wäre daher äußerst wünschenswert. Genau darauf haben sich die Forscher – ein Team um Professor Christian Hackenberger vom FMP und Professor Heinrich Leonhardt vom LMU-Biozentrum – konzentriert. Ihre Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ veröffentlicht: In zwei aufeinanderfolgenden Artikeln werden die Entwicklung von Methoden und die Anwendung dieser Methoden auf den selektiven Wirkstofftransport vorgestellt.
Die neuen Medikamententransporter ermöglichen geringere Dosen und weniger schwere Nebenwirkungen
„Wir haben eine innovative Technologie entwickelt, die es ermöglicht, native Proteine und Antikörper einfacher und stabiler als je zuvor an komplexe Moleküle wie Fluoreszenzfarbstoffe oder Medikamente zu binden“, berichtet Marc-André Kasper, Forscher in der Gruppe von Christian Hackenberger . Die Forscher entdeckten die herausragenden Eigenschaften ungesättigter Phosphor (V)-Verbindungen und machten sich diese zunutze. Diese Phosphonamidate binden eine gewünschte Modifikation – zum Beispiel ein krebsbekämpfendes Mittel – ausschließlich an die Aminosäure Cystein, in einem Protein oder Antikörper. Da Cystein eine sehr seltene natürlich vorkommende Aminosäure ist, kann die Anzahl der Modifikationen pro Protein sehr effektiv kontrolliert werden, was für die Konstruktion von Arzneimittelkonjugaten unerlässlich ist. Darüber hinaus lassen sich Phosphonamidate leicht in komplexe chemische Verbindungen einbauen. „Die größte Errungenschaft der neuen Methode besteht jedoch darin, dass die resultierende Verbindung auch während der Blutzirkulation stabil ist“, sagt Marc-André Kasper. Dies können die auf dem Markt befindlichen ADCs nicht leisten.
Um die Anwendbarkeit bei der gezielten Arzneimittelabgabe zu testen, verglichen die Forscher ihre Technologie direkt mit dem von der FDA zugelassenen ADC Adcetris®. Das Medikament wurde möglichst exakt mit dem gleichen Antikörper und Wirkstoff nachgebildet, der einzige Unterschied bestand darin, dass die innovative Phosphonamidat-Verknüpfung zum Einsatz kam. Bei der Anwendung auf Blutserum beobachteten die Forscher, dass ihr modifiziertes ADC über einen Zeitraum von Tagen deutlich weniger Wirkstoff verlor. Sie nutzten die neue Technologie auch in Experimenten mit Mäusen zur Bekämpfung des Hodgkin-Lymphoms. Das Präparat erwies sich als wirksamer als die herkömmlichen Medikamente. „Aus unseren Ergebnissen schließen wir, dass Phosphonamidat-gebundene Arzneimitteltransporter in niedrigeren Dosen verabreicht werden können und dass Nebenwirkungen weiter reduziert werden können. Somit hat die Technologie großes Potenzial, aktuelle Methoden zu ersetzen, um wirksamere und sicherere ADCs in der Medizin zu entwickeln.“ Zukunft“, sagt FMP-Gruppenleiter Christian Hackenberger.
Im nächsten Schritt werden die Forschungsgruppen ihre Bemühungen zur Entwicklung von ADCs auf Basis von Phosphonamidaten fortsetzen. Präklinische Studien, die für die Behandlung von Patienten unerlässlich sind, laufen bereits. Als Plattform für die Weiterentwicklung zur Marktreife fungiert dabei das vielversprechende Start-up-Unternehmen Tubulis, das im vergangenen Jahr mit dem Leibniz-Gründerpreis ausgezeichnet wurde.
Quellen:
Kasper, M. et al. (2019) Cysteine Selective Phosphonamidate Electrophiles for Modular Protein Bioconjugations. Angewandt Chemie. doi.org/10.1002/anie.201814715
Kasper, M. et al. (2019) Ethynylphosphonamidates for the rapid and cysteine selective generation of efficacious Antibody-Drug-Conjugates. Angewandt Chemie. doi.org/10.1002/anie.201904193