
Wann und warum manifestiert sich Typ-1-Diabetes bei Kindern? Zum ersten Mal führten Forscher eine Langzeitstudie an Säuglingen und Kleinkindern mit erhöhtem genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes durch. Die Ergebnisse wurden jetzt im Journal of Clinical Investigation veröffentlicht. Die Autoren liefern ein einzigartiges Bild der Dynamik der Blutzuckerregulation in der frühen Kindheit und ihrer Beziehung zur Entwicklung von Autoimmunität.
Die POInT-Studie ist in einzigartiger Weise dazu geeignet, den Blutzuckerspiegel während der Entwicklung einer Autoimmunität zu untersuchen
Im Rahmen der Global Platform for the Prevention of Autoimmun Diabetes (GPPAD) wird die klinische Primärpräventionsstudie POInT (Primary Oral Insulin Trial) multizentrisch an sieben klinischen Standorten in fünf Ländern durchgeführt. POInT zielt darauf ab, die Bildung von Inselautoantikörpern und damit die Entstehung von Typ-1-Diabetes zu verhindern. Durch eine fehlgeleitete Immunreaktion kommt es bei Menschen mit Typ-1-Diabetes zur Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Bisher wurde angenommen, dass Stoffwechselveränderungen kurz vor dem Ausbruch der klinischen Erkrankung auftreten und dass die Betazellen der Bauchspeicheldrüse durch die Autoimmunität zerstört werden. Allerdings hatte niemand genau untersucht, was passiert, wenn die Autoimmunität einsetzt. Daher führte die POInT-Studie eine regelmäßige Nachuntersuchung in den ersten Lebensjahren – beginnend im Alter von vier Monaten – bei über 1.000 Kindern mit einem genetisch bedingten 10-prozentigen Risiko durch, an Typ-1-Diabetes zu erkranken. Dies ermöglichte es den Forschern, Veränderungen des Blutzuckers genau mit dem Zeitpunkt der Entwicklung von Insel-Autoantikörpern zu korrelieren.
Unsere Ergebnisse verändern unser Verständnis der Entstehung von Typ-1-Diabetes. Wir zeigen, dass Stoffwechselveränderungen in einer früheren Phase der Krankheit auftreten als bisher angenommen.“
Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin, Helmholtz-Institut für Diabetesforschung München (IDF)
Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam führte sie die POInT-Studie durch. Das Team untersuchte den prä- und postprandialen Blutzuckerspiegel sowie Inselautoantikörper bei den teilnehmenden Kindern.
Ergebnisse liefern neue Ansätze für die Forschung
Erstens zeigten die Ergebnisse entgegen der bisherigen Annahme, dass die Blutzuckerkonzentrationen kurz nach der Geburt nicht stabil sind. Stattdessen nehmen sie im ersten Lebensjahr ab und nehmen dann im Alter von etwa 1,5 Jahren wieder zu. „Die dynamischen Veränderungen im Glukosestoffwechsel in den ersten Lebensjahren haben uns überrascht. Sie spiegeln höchstwahrscheinlich Veränderungen in den Pankreasinseln wider und signalisieren, dass wir uns im frühen Leben intensiver mit dem Glukosestoffwechsel und der Bauchspeicheldrüse befassen müssen“, sagt Katharina Warncke, Chefarzt für Pädiatrische Endokrinologie/Diabetologie an der Abteilung für Pädiatrie und Wissenschaftler am IDF. Wichtig ist, dass die Wissenschaftler herausfanden, dass bei den Kindern, die eine Autoimmunität entwickelten, im Vergleich zu Kindern, bei denen keine Autoimmunität auftrat, der Blutzuckerspiegel nach den Mahlzeiten bereits zwei Monate vor der Bildung von Inselantikörpern höher war. Dieser Unterschied blieb bestehen und führte auch nach der Autoimmunität zu einem Anstieg der Werte vor der Mahlzeit.
Rätseln Sie um das Schlüsselereignis, das die Autoimmunreaktion auslöst
Die Forscher konnten feststellen, dass sich der Blutzuckerspiegel von Säuglingen und Kleinkindern dynamisch verhält und den Konzentrationspeak der Inselautoantikörper widerspiegelt – d. h. Dies weist auf eine Phase der Aktivität und Anfälligkeit der Inselzellen hin. „Die Veränderung des Blutzuckerspiegels nach der Mahlzeit kurz vor dem ersten Nachweis von Autoantikörpern weist auf die Wahrscheinlichkeit hin, dass ein Ereignis vorliegt, das die Funktion der Inseln beeinträchtigt, die der Autoimmunreaktion vorausgehen und zu dieser beitragen. Wenn die Glukosewerte nach der Serokonversion weiter ansteigen, steigt die Beeinträchtigung.“ oder der Schaden scheint anzuhalten und führt zu einer weiteren Glukose-Instabilität“, erklärt Warncke.
„Die beobachteten Veränderungen des Blutzuckerspiegels im Zusammenhang mit der Autoantikörperbildung sind aufregend. Jetzt wissen wir, dass der Beginn des Krankheitsprozesses wahrscheinlich auf den Pankreasinseln einwirkt, und wir können unsere Forschung darauf konzentrieren, die Ursache dieser chronischen Krankheit zu finden.“ “ sagt Ezio Bonifacio, Professor am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden der Technischen Universität Dresden.
Zusammenfassend stellten die Wissenschaftler fest, dass Stoffwechselveränderungen in einem viel früheren Krankheitsstadium auftreten als bisher angenommen: Veränderungen können parallel zur Autoimmunität auftreten oder dieser sogar vorausgehen. Die Forscher vermuten, dass der übermäßige Anstieg des Blutzuckerspiegels nach dem Essen und kurz vor der Bildung von Antikörpern mit einer Veränderung der Funktion der Inselzellen zusammenhängt.
Das Ziel: Vermeidung neuer Fälle
„Veränderungen des Glukosespiegels könnten somit als Indikator für eine Funktionsstörung der Inselzellen und eine mögliche Entstehung einer Autoimmunität gegen Betazellen in der Zukunft dienen“, fasst Ziegler zusammen. Hierzu bedarf es jedoch einer intensiven weiteren Erforschung des Glukosestoffwechsels und weiterer Biomarker im frühen Kindesalter. Ziel der Wissenschaftler ist es letztlich, die Zahl der Neuerkrankungen an Typ-1-Diabetes zu reduzieren. Derzeit sind vier von 1.000 Kindern in westlichen Industrienationen betroffen.
Über GPPAD:
Helmholtz München koordiniert die „Global Platform for the Prevention of Autoimmune Diabetes“ (GPPAD), einen Zusammenschluss von sieben akademischen Forschungsinstituten und Krankenhäusern in Europa, die gemeinsam eine internationale Infrastruktur für Studien zur Prävention von Typ-1-Diabetes aufbauen. Derzeit werden Studien zur frühen genetischen Risikobewertung und Prävention von Typ-1-Diabetes in Belgien (Universitätskliniken Leuven), Deutschland (Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München; Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden; Kinder- und Jugendkrankenhaus auf der Bult, Hannover), dem Vereinigten Königreich (Universität Oxford), Polen (Medizinische Universität Warschau) und Schweden (Universitätskrankenhaus Skåne, Malmö). GPPAD wurde 2015 ins Leben gerufen und wird vom Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust in den Vereinigten Staaten von Amerika finanziert.
Auf die beteiligten Personen
Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin des Helmholtz-Instituts für Diabetesforschung München (IDF); Ordentlicher Professor (W3), Lehrstuhl für Diabetes und Gestationsdiabetes, Medizinische Fakultät, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München
Dr. Katharina Warncke, Chefärztin für Pädiatrische Endokrinologie/Diabetologie an der Klinik für Pädiatrie – einer Kooperation zwischen der München Klinik und dem Klinikum rechts der Isar der TUM, und Wissenschaftlerin am IDF.
Quelle:
Referenz:
Warncke, K., et al. (2022)Erhöhungen des Blutzuckers vor und nach dem Auftreten von Inselautoantikörpern bei Kindern. Zeitschrift für klinische Untersuchung. doi.org/10.1172/JCI162123.
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